Wenn ich meine Freundin in Upstate New York besuche, dann fahren wir immer zu einem Eisladen. Zu dem Eisladen fährt man gute 20 Minuten und ist dann – wie immer wenn man durch die amerikanische Landschaft fährt – eben nicht in einer Stadt, sondern auf einem großen Parkplatz. Auf dem sitzen wir dann neben anderen Menschen in ihren Autos und essen unser Eis. Denn entweder ist es draußen zu heiß und wir müssen uns im Auto mit der Klimaanlage abkühlen oder zu kalt und wir brauchen die Heizung. Jedenfalls sitzen wir immer im Auto, reden übers Leben und essen Softeis, das in bunte Zuckerstreusel oder Peanut Butter-Soße (mein absoluter Favorit) getaucht wurde.
Ich kenne diesen Eisladen seit ich 14 bin und zum ersten Mal in New York war. Damals verliebte ich mich so sehr in diese Stadt, dieses Land und die Menschen, dass ich schließlich mit 23 dort hinzog und viele Jahre dort lebte. In dieser Zeit habe ich viel von New York gesehen, aber dieses Eis ist der wahre Grund, warum ich auch jetzt, da ich in Wien wohne, noch so oft wie möglich nach New York reise. Ich fahre nicht nach New York, um die Freiheitsstatue zu sehen, über die Brooklyn Bridge zu gehen und nicht mal fürs MoMa. Mir geht es um etwas ganz anderes, das mich immer wieder dort hinzieht: amerikanische Leichtigkeit.
Für mich zeigt sich diese Leichtigkeit in dem Eiserlebnis aber auch in der viel verwendeten Redewendung “Piece of Cake”. Das ist ein Ausspruch, den ich mindestens dreimal pro Tag höre, wenn ich in New York bin. Es ist nicht klar, woher dieser Ausdruck genau kommt, aber man sagt “piece of cake” , wenn etwas leicht zu machen ist, kein Problem, so easy eben, wie ein Stück Kuchen zu essen. “Kann ich den Kaffee auch mit einem zusätzlichen Espresso-Shot haben?” – “Klar! Piece of Cake.” “Ich habe meine Fahrkarten für den falschen Tag gebucht und ich kann die nicht umtauschen.” – “Lass mich mal machen. Piece of cake!”
Wenn ich in New York bin und mit meinem Softeis im Auto sitze, dann erscheinen mir auch große Probleme in diesen Augenblicken plötzlich leichter, machbarer, lösbarer. Ich weiß: Nichts ist so schwer wie die Leichtigkeit, doch hier – auf einem Parkplatz im Auto sitzend und mit einem Eis in der Hand – erscheint sie mir plötzlich greifbar.
Nichts ist so schwer wie die Leichtigkeit, doch hier – auf einem Parkplatz im Auto sitzend und mit einem Eis in der Hand – erscheint sie mir plötzlich greifbar.
Alfred Hitchcock hat einmal gesagt:
“Für mich ist Kino nicht ein Stück Leben, sondern ein Stück Kuchen.”
Der Kuchen ist das Leichte, einfach zu Verdauende, mit dem man das Leben feiert. Mit dem Kuchen an Geburtstagen, Jahrestagen, an Sommertagen, wenn Besuch kommt und man mit einem Stück Erdbeertorte auf der Terrasse unter einem Sonnenschirm sitzt. Dieses Gefühl ist es, das ich suche und brauche. Und immer, wenn ich im Eisladen in Upstate New York bin auch finde.
Doch irgendwann ist das Eis immer aufgegessen und irgendwann ist jeder Aufenthalt in New York zu Ende. Und dann stehe ich plötzlich wieder am JFK-Flughafen in der Schlange am Sicherheitscheck, meine Schuhe in der Hand, mein Handgepäck auf dem Rollband neben mir. In diesen Momenten nehme ich mir vor nur eine einzige Sache mitzunehmen: Leichtigkeit. Manchmal gelingt es mir. Manchmal geht mein Gepäck aber auch unterwegs verloren.
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