Haben Sie schon mal Schlamm an die Wand geworfen? Ich vermisse im Moment, dass ich nicht mehr mit Freunden in meiner Lieblingsbar in Wien sitzen und über Fragen wie diese reden kann. Irgendwie brauche ich für Diskussionen wie diese gedämpftes Licht, einen Gin Tonic und eine Geräuschkulisse aus Lachen, Gläserklirren und Gesprächsfetzen, die dieses unersetzbare “Hab-ich-das-richtig-verstanden?”-Gefühl erzeugen. Das ist über Zoom nur schwer zu erreichen. Dabei ist die Sache mit dem Schlamm gegen die Wand werfen gerade ein aktuelles Thema.
Als ich vor ein paar Jahren in New York lebte und verschiedene Dinge ausprobierte, kommentierte meine Mitbewohnerin:
“Das ist gerade deine ‘throw-mud-against-the-wall’-Zeit.”
Ich liebe an den Amerikanern vor allem zwei Dinge: Erstens, dass es zu jedem Essen Servietten gibt und zweitens, für alles ein Bild, das die Dinge irgendwie positiv erklärt.
Wirf Schlamm an die Wand!
“Throw mud against the wall and some of it will stick” oder auf deutsch: “Wirf Schlamm an die Wand und irgendwas wird kleben bleiben” ist eine Redewendung, die aus der Bautechnik stammt, vermutlich aus der Fertigstellung einer Flechtwerkwand. Diese besteht aus einem Gerüst sowie einer geflochtenen Feinstruktur aus Weidenruten, die man sich im Prinzip wie einen dieser Flechtkörbe vorstellen kann. Diese Konstruktion wird dann mit einem Gemisch aus Lehm versehen bzw. buchstäblich “beworfen”.
Im Moment ist so eine Zeit: Niemand hat mehr Lust auf Rumgammeln und Stillsitzen. Und wieso sollte man auch? Stattdessen probieren gerade alle Menschen etwas aus, werfen Schlamm gegen die Wand. Meine Freundin Ronke hat einen Etsy-Shop eröffnet, mein Bekannter macht zum ersten Mal YouTube, eine Freundin, die Schauspielerin ist, filmt jetzt auch selber: mit ihrer Handy-Kamera. Eine andere Freundin hat ein Kefir-Projekt, eine Nachbarin nimmt an den Online-Kursen einer Clownschule teil. Sie alle werfen Schlamm gegen die Wand und haben längst die Jogginghose gegen eine Can-Do-From-Home-Attitüde eingetauscht.
Als ich im East Village wohnte schrieb ich an einem Buch, hatte einen Podcast gestartet und bewarb mich für verschiedene Uni-Programme. Nicht alle Dinge davon waren erfolgreich, aber das war auch egal.
“Macht doch nix, wenn die Hälfte davon nichts wird, das gehört dazu!”, meinte meine Mitbewohnerin damals.
Ich will nicht sagen, dass diese Pandemie auch nur irgendwas Gutes hat, aber vielleicht das: Es gibt kein Scheitern mehr. Denn mal ehrlich: wie sehr kann man schon in einer Pandemie scheitern? Johnny Cash hat einmal gesagt: “Es sind die Misserfolge, auf denen du aufbaust. Denn sie sind die Sprungbretter.”
In gewisser Weise ist jetzt die Zeit, diese Misserfolge zu sammeln. Dinge auszuprobieren. Kefir zu züchten. Oder Ideen. Schlamm an die Wand zu werfen.